Stichwort »Bravo«

Ein vielstimmiges „Bravo!“ schallt dem jungen Fähndrich Hediger in Kellers „Fähnlein der Sieben Aufrechten“ auf seinen Fahnenspruch „Freundschaft in der Freiheit“ entgegen; mit einem lautstark buchstabierten „B-R-A-V-O!“ danken die Pfadfinder an der Waldweihnacht dem Pfarrer für sein Predigtwort; mit begeisterten „Bravo!“-Rufen aus Parkett und Logen huldigen die Opernfans der Primadonna und ihrer Bravourarie. In allen seinen Varianten fällt dieses „Bravo“ am Ende seiner Wortgeschichte angenehmer in die Ohren als am Anfang. Aber dafür lässt sich dieser erste Auftritt versgenau bezeichnen: Er findet sich in Homers „Ilias“, im 2. Gesang, in Vers 867.

Da nennt Homer unter den Kämpfern vor Troja am Ende die „barbarophonen“, etwa: „rhabarbertönenden“ Karer aus dem Südwesten Kleinasiens, also Leute, bei deren fremdem Rhabarbergebrabbel ein griechisch sprechender Grieche nichts als Bahnhof verstand. Für fremde Sprachen hatten die alten Griechen wenig Sinn; die lautmalende Bezeichnung bárbaros, sozusagen „Brabbelnder“, ist im Griechischen zur Bezeichnung des Fremdländischen überhaupt geworden. Wahrscheinlich ist dieses Wort auch selbst einmal aus der Fremde in die Fremde gekommen; entsprechende Lautmalereien findet sich im Altindischen und im Sumerisch-Babylonischen.

Seine abschätzige Bedeutung im Sinne des Unkultivierten, Unmenschlichen hat das griechische Wort im Zug der Perserkriege angenommen, als der Perser zum Inbegriff des unfreien, politischer Freiheit gar nicht fähigen „Barbaren“, das persische Königtum zum Exempel eines unwürdigen Regimes von Herren über Sklaven wurde.

In der Einleitung zu seinen „Politischen Schriften“ bekräftigt Aristoteles einen pointierten Redeschluss der Euripideischen Iphigenie, dass die Griechen über die Barbaren, nicht Barbaren über Griechen herrschen sollten, da die einen ja „sklavisch“, die anderen „frei“ seien: „Barbaren und Sklaven“, sagt er dazu kurz und bündig, seien „von Natur dasselbe“.

Im allgemeinen Sprachgebrauch steht das griechische bárbaros jenseits des Fremdsprachigen und Fremdländischen für mancherlei Unmenschliches; Verknüpfungen wie „unbelehrbar und barbarisch“, „barbarisch und mitleidlos“ oder „grausam und barbarisch“ zeugen davon. In dieser Bedeutung des tierisch Wilden, unmenschlich Grausamen ist das Wort in die neuen Sprachen eingegangen, unddies auf zwei Wegen: Der eine führt geradewegs zu den unkultivierten „Barbaren“ und ihrem barbarischen Treiben, der andere über ein lateinisches barbarus und ein spanisches und italienisches bravo zu den wieder zweierlei „Braven“ und dem weltweit geläufigen „Bravo!“

Barbarisch und brav: Wie geht das zusammen? Über zwei Tugenden. Aus dem mittelalterlichen barbarus in der Bedeutung eines „unbändig Wilden“ war in der frühen Neuzeit ein italienischer bravo geworden, und dies zunächst im Sinne eines wild dreinschlagenden und darum lobenswerten „braven“ Landsknechts vom Schlage eines Schlaginhaufen, ja selbst eines kaltblütig mordenden „Bravos“. Und auf den „braven“ Haudegen ist dann mit einer tollen Kehrtwendung von den kriegerischen Söldnertugenden zu den friedlichen Bürgertugenden der eben gerade nicht dreinschlagende und darum wieder lobenswerte biedermännisch „brave“ Bürger gefolgt.

Die italienischen Opernfans haben dieses „Bravo“ zu ihrem frenetischen Beifallsruf gemacht. Von der Mailänder Scala sind ihre Bravo- und Bravissima-Rufe in alle Welt hinaus gedrungen, und es hat darauf ein vielfältiges Echo gegeben, bis hin zu dem lauthals buchstabierten B-R-A-V-O an der Pfadi-Waldweihnacht. Fünf Buchstaben, die Geschichte haben: von den „brabbelnden“ Karern vor Troja zum sklavisch oder grausam „Barbarischen“, von da querfeldein zu den wilden und im Kehrum zu den zahmen „Braven“ und zuletzt zu den stürmisch gefeierten „Bravi“ und „Bravissimi“ auf der Opernbühne und jenem eingangs zitierten „Bravo“ für die Freiheit (!). 

Was für eine Wortgeschichte voller toller – um nicht zu sagen: barbarisch wilder – Verkehrungen!


Stichwort »Design«

Ein Bier, ein Bier, das macht den Durst erst schön ...“: So fing einmal ein Trinklied an, in dem „Kehle“ sich sinnigerweise – man ahnt es – auf „Seele“ reimte, und dazu gab es damals ein Plakat, auf dem ein schäumender Bierhumpen gleich einer Fata Morgana über glühende Sanddünen hinschwebte. Aber das ist Schaum von gestern; heute sind es die Designer-Etiketten auf den Designer-Bierflaschen, die den Durst erst so recht schön machen.

Schauen wir tief ins Designer-Glas, erscheint da im Grunde ein lateinisches signum, „Zeichen“, das im Euro-Wortschatz vielfach fortlebt, so bei uns über ein verkleinerndes sigillum im „Siegel“, sodann über das Verb signare im „Signieren“ und

der Lehnübersetzung „unterzeichnen“ sowie, des Kreuzeszeichens wegen, im „Segnen“, schliesslich über ein spätes Adjektiv signalis im „Signal“. Komposita haben über ein Partizip significans, „Zeichen setzend“, zu „signifikanten“ statistischen
Daten, über das Adjektiv insignis zu den „Insignien“, den augenfälligen Zeichen von Amt und Würde, über ein resignare zur „Resignation“, eigentlich dem Verzicht auf einen besiegelten Anspruch, und über ein designare zur jüngsten Verjüngung des alten Wortes im englischen „Design“ geführt. Dieses designare bezeichnet ebendas „Bezeichnen“. „Nunc sum designatus aedilis ...“, ruft der junge Cicero in seinem ersten grossen Strafprozess stolz aus:

„Jetzt bin ich ein designierter Ädil ...“, und mit diesem speziellen Terminus politicus sprechen wir bis heute von einem „designierten“, für ein Amt bezeichneten Magistraten. Bereits in klassischer Zeit begegnet eine vom allgemeinen „Bezeichnen“ zum bildnerischen „Darstellen“ verschobene Wortbedeutung; da ist das Bild als ein Zeichen betrachtet, da wird das „(Ab-) Bilden“ zum „(Be-) Zeichnen“ und bei uns dann geradezu zum „Zeichnen“. Der zukunftsträchtige Wortgebrauch findet sich in Ovids Metamorphose der kunstfertigen Arachne, die Athene zum Wettstreit in der Bildwirkerei herausfordert und um ihrer Hybris willen in eine Spinne verwandelt wird. Als erstes „wirkt“ sie dort die von Jupiter in Stiergestalt entführte Europa ins Gewebe, da heisst es lateinisch: „designat ... Europam“, wortwörtlich: „bezeichnet sie Europa“. 

Diese bildnerische Bedeutung hat sich in den neuen Sprachen durchgesetzt, zunächst im italienischen disegnare, dann im französischen dessiner und danach im englischen design, das neuerdings auch im Deutschen zu einem werbekräftigen, irgendwie „Kunst“ und „Stil“ verheissenden Modewort geworden ist. Die französischen „Dessins“ sind auf die Textilien und Tapeten beschränkt geblieben; das „Design“ ist auf dem besten Wege, sich querfeldein auf alle Wirtschaftssparten auszubreiten. Die buntgemischte Palette im Schaufenster des Internets präsentiert vielerlei „Designer“-Kreationen und -Komposita, von stilvollen „Designer-Stehlampen“ und anderen Interieurs, „Designer-Handtaschen“ und anderen Accessoirs bis hin zu der horriblen Wortschöpfung eines nach Wunsch designten „Designer-Babies“. 

Apropos „designt“: Zu guter Letzt hat der Designer-Jargon noch ein leicht abgefälschtes neudeutsches Verb kreiert: Ich designe, du designst, er, sie, es designt ... Das steht so durchkonjugiert bereits im Grossen Duden der 90er Jahre, wie übrigens auch schon das „Stylen“: Ich style, du stylst, er, sie, es stylt ... Zwei gestylt designte Wörter fürs Feine, wobei das „Stylen“ mit seinem edlen – auch wieder abgefälschten – griechischen „y“ dem „Designen“ dann doch das wahreTüpfelchen auf dem „i“ voraushat.


Stichwort »Investition«

Der Bauer baut an, der Anleger legt an; aber sonst ist die Geldwirtschaft der Bildersprache der Landwirtschaft verhaftet geblieben. Sie lässt das Kapital Zinsen „tragen“ wie das Kornfeld seinen Weizen; sie lässt es Gewinn „abwerfen“ wie den Fruchtbaum seine Zwetschgen; sie lässt es geradezu „arbeiten“ wie die Landarbeiter auf dem Feld. Ein Bild ist neu: Seit dem späteren 19. Jahrhundert können wir ein Kapital „investieren“, ja, wirklich: „einkleiden“. Ist der schnöde Mammon denn nackt und bloss? Braucht er Kleider, seine Blösse zu bedecken? So ist es; wer immer als erster von „Investitionen“ gesprochen hat, der hat in der Eins mit den vielen Nullen dahinter die schandbar nackte Zahl erkannt, die nach Einkleidung schreit.

In der „Investition“ steckt das lateinische Substantiv vestis, „Kleid“ im weitesten Sinne; vorneweg geht das Kopfstück in-, entsprechend unserem „ein-“, hinterdrein folgt das Schwanzstück -tio, entsprechend unserem „-ung“: Investitionen sind „Einkleidungen“. Von dem Stammwort kommt über die französische veste unsere ärmellose „Weste“; von dem Verb vestire, „kleiden“, der „Transvestit“, der „quer hinüber Gekleidete“, der sich über die Geschlechtergrenze hinweg in Frauenkleidung präsentiert, und die literarische „Travestie“, die etwa eine Tragödie vom hohen Kothurn herabholt und sie über die Gattungsgrenze hinweg in der komischen Maske spielen lässt.

Im klassischen Latein ist das Verb investire, „einkleiden“, ein ungebräuchliches Kompositum geblieben, und Ableitungen wie eine investitio, einen invest(it)or oder ein investimentum hat es nicht gegeben. Zu Ehren gelangt ist das Wort erst in späterer christlicher Zeit in der kirchlichen Hierarchie. Für die Einsetzung eines Bischofs oder eines Abtes in sein Amt ist im Kirchenlatein des Mittelalters eine neugeprägte installatio, „Installation“, eigentlich die „Einstuhlung“ in den Bischofsstuhl (spätlateinisch stallus, daher noch die „Bestallung“), aufgekommen, und daneben ist eine investitura, „Investitur“, eigentlich die „Einkleidung“ in die Bischofs- und Erzbischofsgewänder samt Ring und Hirtenstab, zum Fachwort geworden. Unter dem Stichwort des „Investiturstreits“ zwischen den Päpsten und den Königen des hohen Mittelalters ist das Wort in die Geschichtsbücher eingegangen.

Wörterlebensläufe: Die „Installation“ hat sich neuerdings in den sanitären „Einsetzungen“ und jüngst noch in den künstlerischen Installationen zwei neue, weit voneinander abgelegene Bedeutungsfelder erschlossen; mit der „Investition“ ist dasInvestieren im industriellen Zeitalter nochmals zu einer neuen, wieder weit von jener klerikalen „Investitur“ abgelegenen Bedeutung gekommen. Nehmen wir das Wort bei Wort, lesen sich manche Nachrichten wie eine Modebeilage. Da ist von Einkleidungsanreizen und mangelnder Einkleidungsbereitschaft die Rede; da fordert einer höhere Einkleidungen für die Infrastruktur und die digitale Industrie 4.0, ein anderer Einkleidungsprogramme für die Bildung und die Pflege; da ruft einer, kurz ehe die knappe Finanzdecke reisst, nach der rettenden Einkleidungsspritze.

Sehen wir’s recht, so sind die Millionen und Milliarden auf dem Papier nicht nur nackt und bloss, sondern auch irgendwie unwirklich – „Wirk“-lichkeit im eigentlichen Wortsinn, Tätigkeit und Wirkungskraft, entfalten sie erst eingekleidet in Strassenund Brücken, Bahnen und Busse, Elektromobile und Ladestationen, Lehrer und Lehrerinnen, Pflegerinnen und Pfleger, und wie die vielen schönen Kleider und Gesichter dieser vielen nackten Nullen alle heissen. Schade, dass wir in der „Investition“ vor lauter Nullen das „Kleid“ gar nicht mehr sehen: Wer merkt noch auf, wenn er von Investitionen in der Textilbranche liest – Investments in vestimenti, in vêtements?


Stichwort »Profil«

Ein Jahr vor den Nationalratswahlen suchen die Parteien, ihre Präsidentinnen und Präsidenten, Kandidatinnen und Kandidaten, ihr Profil zu schärfen. Wortgeschichtlich haben sie ja alle das gleiche, ein klassisch-lateinisches, und ein vergleichsweise transparentes: Da sind die Parteien die „Teile“ zur Linken und zur Rechten der politischen Szene, die Präsidenten die „Vorsitzenden“, die Kandidaten die im altrömischen Wahlkampf „strahlend weiss gewandeten“ Wahlbewerber. 

Das „Profil“, auch das ein Migrant mit lateinischen Wurzeln, lässt sich nicht so geradewegs übersetzen; das hat, wie Profile eben haben, seine Kanten und Kehren, Schlingen und Schlenker.

Das Pro- und das -fil haben erst im Italienischen zusammengefunden, aber seither hat der alte Stamm nochmals kräftig ausgetrieben. Profile gibt’s viele: Da denken wir zunächst an das leibliche, das Gesicht im Profil, das der Silhouettenschneider schneidet. Das haben wir, notabene, nur vom Scheitel bis zum Adamsapfel; darunter, an Brust und Bauch, haben wir – wieder lateinisch – Figur. Dann sind da die technischen, die Profile unserer Gummisohlen und Autoreifen, die von stählernen Trägern und hölzernen Rahmen. Und schliesslich sind da die bildlich übertragenen „Profile“ wie ebenjenes politische, mit dem eine Partei „sich profilieren“, im modischen Jargon: „klare Kante zeigen“ kann, und manche andere bis hinauf zu der – wie auch immer – „profilierten Persönlichkeit“.

Der rote Faden, der sich hier von der profilierten Schuhsohle bis zur markanten Stirn und zum geistigen Profil dahinter hinaufzieht, ist in diesem Fall tatsächlich ein Faden: das lateinische filum, zu Deutsch „Faden“. Auffällige Verbindungen wie forma et filum, „Gestalt und Faden“, oder habitus corporis et filum, „körperlicher Habitus und Faden“, deuten darauf, dass ein wollener Faden mit seinen lockeren Schleifen und Schlaufen schon im klassischen Latein den Umriss einer Figur zeichnen und so auch bezeichnen konnte. Das Lob für das „gar nicht so üble filum“ einer jungen Frau in einer römischen Komödie gilt also nicht etwa deren Fleiss und Kunstfertigkeit an Spinnrad und Webstuhl.

Im Spätlateinischen erscheint vereinzelt ein Verb filare, sozusagen „fädeln“, in dem Sinne „(Wolle) zu einem Faden ausziehen“, und im Italienischen dann die zukunftsträchtige Zusammensetzung profilare, „vorfädeln, im Umriss vorzeichnen“.

Das daraus zurückgebildete profilo, „Umriss, Seitenriss“, ist im früheren 17. Jahrhundert über ein französisches profil ins Deutsche übergegangen.Als Terminus technicus der Architektur, speziell der Festungsbaukunst, hatte das Wort zunächst die Seitenrisse von Bauten, Mauern und Schanzen bezeichnet, bis es bei dem Kunsthistoriker Winckelmann und Lessing von den Mauerstirnen und Mauernasen auf die Menschenstirnen und Menschennasen übersprang. So erklärt sich, wieso wir nur zuoberst, eben wie die Festungsmauern, „Profil“ haben. In jüngster Zeit hat unser Sprachgebrauch vielerlei weitere „Umrisse“ und „Gesichter“ bildlich als „Profile“ angesprochen. 

Neben den Parteiprofilen stehen da, um nur wenige zu nennen, Unternehmensprofile, Kompetenzprofile, Stellenprofile, Kundenprofile, Anlageprofile, Schul- und Studienprofile, ja kriminologische Täterprofile – lauter „Profile“, die sich nie und nimmermehr mit einem blossen Faden, sondern allenfalls noch mit allerlei graphischen Künsten darstellen liessen. Und schliesslich verzeichnet der Duden da noch profilkranke Profilierungssüchtige und Profilneurotiker: Da hat sich der Faden, der in einem Zug, mit wenigen Strichen das Logo der Person hätte zeichnen sollen, wohl heillos verwickelt.


Die hier versammelten „Wortgeschichten” von Klaus Bartels sind in den vergangenen Wochen in der NZZ erschienen. Mit seiner freundlichen Zustimmung dürfen wir sie hier nachdrucken. 215 Titel hat er mittlerweile unter dieser Rubrik publiziert. Die meisten sind in einem seiner vielen Bücher veröffentlicht, meist unter anspielungsreichem Titel, Wie Berenike auf die Vernissage kam oder Wie der Steuermann im Cyberspace landete oder Wie die Murmeltiere murmeln lernten oder Trüffelschweine im Kartoffelacker. Allein Die Sau im Porzellanladen. 77 Wortgeschichten, Verlag Philipp von Zabern, Mainz 2008 ist noch beim Buchhändler zu bekommen. Die jüngst verfassten Wortgeschichten reichen allerdings bereits wieder für einen neuen Band. Einen Titel dafür gibt es noch nicht.

Cover Sau im Porzellanladen neu