Die Beschäftigung mit dem Altertum und den Klassischen Sprachen und Texten kann für (fast) alles auch im modernen Leben Ausgangspunkt für vertiefte Reflexion sein. Das Spektrum reicht von Krieg und Frieden, über Liebe und Hass, über Politik und Demokratieverständnis, über Ethik und Ästhetik bis hin zu Kunst und Kultur. Die Universität Potsdam hat daher mit der Denkfabrik Scriptio Continua – Antike und Gegenwart einen solchen Schwerpunkt innerhalb der Potsdamer Universitätsstipendien gesetzt und fördert in diesem besonderen Format seit dem 1.10.2021 für ein Jahr lang zehn leistungsstarke Studierende, die sich für die Antike begeistern. Die Arbeit der Denkfabrik wird durchgehend von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Historischen Instituts begleitet und unterstützt (Lehrstuhl Geschichte des Altertums: Prof. Dr. Filippo Carlà-Uhink und
Dr. Eike Faber; Lehrstuhl Klassische Philologie: PD Dr. Nina Mindt und Dr. Hedwig Schmalzgruber). Die Denkfabrik verknüpft die altsprachliche Forschung des Lehrstuhls für Klassische Philologie eng mit den Forschungs- und Lehrschwerpunkten der Geschichte des Altertums. Ihr gemeinsames Anliegen ist es, zu einem besseren Verständnis der Antike beizutragen und in Fallbeispielen das Potenzial der Antike-Rezeption aufzuzeigen.

Drei Fragekomplexe bilden die thematischen Schwerpunkte: 

1) Antikerezeption, Kultur und Identität

2) Medien und kultureller Wandel

3) Schrift und Öffentlichkeit

1) Antikerezeption – der Bezug auf die Kultur, Sprache und Literatur des antiken Griechenland und Rom – ist viel mehr als nur ein ästhetisches Phänomen. Die Antike, gedacht als klassisches Ideal und Ursprung abendländischer Kultur, war Referenzpunkt für kulturelle Identität, diente als politische Legitimationsstrategie oder wurde für politische Rhetorik in Anspruch genommen. Die Antike ist aber auch heute gegenwärtig, von Popkultur (u.a. in Filmen, Comics, Graphic Novels, Videospielen) bis Politik. Die Denkfabrik will Formen und Funktionen des Bezugs auf die Antike für Kultur und Identität nachgehen.

2) Mediendiskussionen fanden bereits in der Antike statt (etwa Gedächtnis vs. Schriftlichkeit bei Platon), die „Speicher“-Medien und Materialien der Schrift änderten sich – können wir antike Entwicklungen mit den heutigen Veränderungen ins Digitale hinein vergleichen? Auch Mehrsprachigkeit und Interkulturalität sind antike Phänomene, die wir heute kennen. Die Denkfabrik möchte Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Antike und Gegenwart hinsichtlich Medien und kulturellem Wandel aufzeigen und auch Impulse in Schule und Wissenschaft geben.

3) Schrift im öffentlichen Raum ist uns vertraut – als Werbung, Informationstext oder Logo. Inschriften und epigraphische Dokumente gehören aber auch zu den Aspekten der antiken Sprachen und Kulturen, denen man in der heutigen Lebenswelt besonders häufig auch im Alltag begegnet, sei es an Gebäuden, Monumenten oder etwa auf Grabsteinen. Ins preußische Königreich importierte antike Inschriften sind als steinerne Textfragmente nicht nur Zeugnisse der Römerzeit, sondern stehen vor allem für die Rezeption und Instrumentalisierung der Antike in der Neuzeit. Über den Text hinaus sind sie symbolische Kommunikationsmittel, mit deren Hilfe sich preußische Könige im Sinne der römischen und der christlichen Tradition inszenieren. In Potsdam und Umgebung knüpfen zahlreiche antike Inschriften, die an öffentlichen und repräsentativen Orten auf das römische Kaiserreich oder das frühe Christentum verweisen, ein materielles „Band“ zu einer Epoche, die man als ideal und klassisch empfand. 

Ein regionaler Bezug (Potsdam und Umgebung) ist bei der Arbeit in der Denkfabrik möglich, aber nicht zwingend, um die oben genannten Aspekte auch in einem größeren Kontext zu diskutieren.

bild denkfabrik

Von der konkret materiellen Form der antiken Schrift ohne Leer- und Satzzeichen (scriptio continua, „zusammenhängende/kontinuierliche Schrift“) gehen wir in der Denkfabrik eben auch der sciptio continua im metaphorischen Sinn nach: Wie hat sich die Antike in die jeweilige Gegenwart eingeschrieben – bis heute.

Dabei soll aber auch das Bewusstsein dafür gestärkt werden, dass die Antike nicht nur als Ideal verstanden werden muss, sondern auch als Ausgangspunkt für Irritation und als produktiver Reibungspunkt und Provokation. Ebenso sollen auch Leerstellen der Antikerezeption thematisiert werden: Wo und warum wurde/wird nicht auf Antike rekurriert? Welche Antike wurde/wird ausgeklammert?

Die für diesen Stipendienzeitraum ausgewählten Stipendiatinnen und Stipendiaten kommen aus den Fächern Geschichte, Latein, Religionswissenschaft, Politische Bildung, Philosophie, Germanistik/Deutsch, Französisch sowie dem Studiengang „Geschichte, Politik, Gesellschaft“. Durch die Einbindung in die Denkfabrik vertiefen sie ihre Kompetenzen im wissenschaftlichen Arbeiten und forschen eigenständig in einem interdisziplinären Umfeld. Sie tauschen sich mit Forschenden aus und erhalten Einblicke in die Welt der Wissenschaft. Besonderes Augenmerk liegt auch auf der Entwicklung und Nutzung kreativer Formate der Wissens- und Wissenschaftskommunikation bei der Präsentation und Dokumentation der Ergebnisse der studentischen Forschung. 

Vom 22.–23.10. findet der Auftakt-Workshop der Denkfabrik in der Ökologischen Forschungsstation Gülpe statt, auf dem die Arbeit inhaltlich und organisatorisch genauer bestimmt und Arbeitsgruppen gebildet werden. Erst dann wird in diesem möglichst hierarchiefreien Rahmen die genauen Arbeitsschwerpunkte und ihre mediale Vermittlung diskutiert. 

Es liegt uns sehr am Herzen, in der Denkfabrik Projekte zu verfolgen, die wir angemessen für Schule und Unterricht und/oder für ein breiteres interessiertes Publikum aufarbeiten und präsentieren können. Auf den Homepages der Klassischen Philologie und der Geschichte des Altertums werden wir regelmäßig über die Arbeit der Denkfabrik informieren.

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