Ingrid D. Rowland:
In Pompeji. Was Mozart, Twain und Renoir faszinierte
Lambert Schneider Verlag – WBG Darmstadt
aus dem Engl. von Michael Sailer, 2017
380 S. mit 40 s/w Abb.,
1 Karte, Bibliographie und Register, € 29,95 ISBN 978-3-650-40180-9

Die Geschichte Pompejis war mit dem Ausbruch des Vesuv im Jahr 79 n. Chr. nicht zu Ende. Zur Geschichte Pompejis zählen weitere nicht unbedeutende Kapitel: so haben die dortigen Grabungen der archäologischen Wissenschaft Respekt verschafft und ihr Profil gegeben. Ihre Anfänge haben ganz Europa bewegt und die verschüttete Stadt zum bedeutenden Reiseziel für bürgerliche und adlige Besucher gemacht. Ingrid D. Rowland erzählt in ihrem Buch »In Pompeji. Was Mozart, Twain und Renoir faszinierte« von der Anziehungskraft dieser berühmten toten und zugleich eigentümlich lebendigen Stadt.
Ingrid D. Rowland (geb. 1953) lehrt Architektur an der Notre Dame Universität in Rom und schreibt regelmäßig für die New York Book Review. Unter anderem publizierte sie eine Übersetzung von Vitruvs Libri decem de architectura und gab den Katalogband The Ecstatic Journey: Athanasius Kircher in Baroque Rome heraus. Ihre eigene Geschichte mit Pompeji begann Mitte Januar 1962 im Alter von acht Jahren: „Mein Vater war Chemiker (sc. er erhielt 1995 den Nobelpreis für Chemie), hatte ein Guggenheim-Stipendium erhalten und wollte sechs Monate in Mainz und dann zwei Monate im englischen Cambridge verbringen. Meine Eltern, mein Bruder und ich reisten jedoch via Neapel von New York nach Mainz, weil meine Eltern Italien sehen wollten: das Land von Sophia Loren, Claudia Cardinale, Marcello Mastroianni, Espresso, Leonardo – und Pompeji.” Wie sie zu diesem Buchprojekt gekommen ist, erklärt sie so: „Bis vor nicht langer Zeit war ein Besuch in Pompeji oder Herculaneum unweigerlich mit einem Trip nach Neapel verbunden und um den Vesuv kam keine Reise in die Gegend herum. Ebenso unmöglich ist es, diese außergewöhnlichen Orte ohne außergewöhnliche Erinnerungen zu verlassen. Weil sie in der Kindheit entstanden, bilden meine ersten Eindrücke von Neapel, Pompeji und Herculaneum eine tiefe Schicht in einer Art persönlicher Archäologie, aber Reisende jeden Alters und Lebensabschnittes kehren von dort verändert zurück, manchmal tiefgreifend. Dieses Buch widmet sich einer Auswahl von Besuchern, deren Leben durch die Begegnung mit Pompeji für immer geprägt wurde, sowie einigen, die weniger drastisch darauf reagierten. Die Liste ist unvollständig, ausgewählt wurden sie, weil ihre Geschichten ungewöhnlicher oder unerwarteter als die meisten anderen sind, so etwa die überraschenden Erlebnisse von Renoir aus Paris, Freud aus Wien, Hirohito aus Tokio und die spirituelle Odyssee eines einfühlsamen, ehrgeizigen Mannes namens Bartolo Longo, der Pompeji mindestens ebenso veränderte wie Pompeji ihn.” (S. 11–15)
In die Erlebnisse von Pompejibesuchern bzw. mit Pompeji eng verbundenen Persönlichkeiten eingeflochten sind Anmerkungen zur Geschichte der Ausgrabungen und ihrer Rezeption. Die Entdeckungen in Herculaneum und Pompeji geschahen nicht voraussetzungslos: „Als die Künstler der Renaissance im späten 15. und frühen 16. Jahrhundert in die Ruinen und Grüfte des alten Rom hineinkrochen, befanden sie die Malereien an den Wänden als die schönsten Arbeiten, die sie sich vorstellen konnten, und Antiquare des 18. Jahrhunderts betraten die Stollen von Herculaneum in Erwartung der gleichen Erfahrung.” (S. 81) Die ersten Exkursionen nach Herculaneum glichen Reisen in die Unterwelt: Prozessionen im Fackelschein, Brunnen hinunter und Stollen entlang, um die Überreste von Gemälden zu erblicken, die den Betrachtern oft eher monströs als schön erschienen. Viele frühe Besucher waren überzeugt, in der Antike habe man gemalt wie Raffael, der in den Augen seiner Zeitgenossen in jeder Hinsicht den legendären Meistern der Antike gleichkam (S. 81f). Als die Wandmalereien von Herculaneum und später Pompeji im 18. Jahrhundert ans Licht kamen, berührten sie die Menschen teilweise deshalb auf so eigentümliche Weise, weil ihre eigene Vorstellung von antiker Kunst derart stark geprägt war durch die lange Tradition, etabliert von Raffael und seinen Anhängern, zu denen auch die Meister des Barock im 17. Jahrhundert zählten, von Caravaggio und Annibale Carracci bis Rubens (S. 85f.). Ingrid D. Rowland macht ferner deutlich, dass die damalige Schockwirkung der Kunst in Pompeji und Herculaneum nicht zuletzt von deren Thematik herrührte. Jeder, der die Ruinen erkundete, wusste, dass die alten Römer eine gänzlich andere Einstellung zu Sex hatten als die christliche Kirche. Was der heilige Paulus als Unzucht brandmarkte, war den meisten alten Römern in allen Einzelheiten vertraut (S. 89).
Bei den Grabungen in Pompeji fällt auch der Name eines Schweizer Ingenieurs namens Karl Jacob Weber (S. 102), der frustriert von den planlosen Arbeiten in Herculaneum von Anfang an darauf drängte, „die Erforschung der neuen Stätte müsse der tatsächlichen Anlage der Stadt folgen, erkennbar am Verlauf der antiken Straßen, und jede Straße, jedes Monument und Gebäude müsse sorgfältig auf Vermessungsplänen verzeichnet werden. Mit den Gräbern, Villen, Häusern, Mauern und dem Theaterkomplex trat langsam ein städtisches Straßensystem zutage” (S. 102). „So entwickelten sich die Ausgrabungen in Pompeji, obwohl von der gleichen Mischung aus antiquarischer Begeisterung und Schatzsuche angetrieben, bald zu etwas vollkommen anderem als in Herculaneum. Die Sonne strahlte am Himmel eines fruchtbaren Landstrichs, und statt in verpesteten Stollen herumzukriechen, erlebten Besucher einen herrlichen Ausflug aufs Land. ... Kein Wunder, dass die südlichere Stadt bald viel beliebter war als Herculaneum – sie war für jedermann zugänglich, und der Besuch war ein Genuss.” (S. 103)
„Als die Funde in Herculaneum langsam versiegten, wurden 1754 neue Sondierungen in Civita durchgeführt, aber erst 1763 bestätigte die Entdeckung der Inschrift „res publica pompeianorum” endgültig Lukas Holstes (vgl. das Kapitel 3: Vor Pompeji: Kircher und Holste, S. 42–70) These: Der Hügel von Civita bedeckte das antike Pompeji.” (104)
Wolfgang Amadeus Mozart kam im Mai 1770 mit seinem Vater Leopold nach Neapel, damals eine der größten Städte der Welt und wohl die größte Musikmetropole Europas. Die 200 Kilometer von Rom nach Neapel hatten sie in der Postkutsche in zwei Tagen zurückgelegt (111f.); die altrömischen Straßen waren in bemerkenswert gutem Zustand. Die Begegnung mit Sir William Hamilton und seiner gebildeten, musikalisch begabten ersten Frau Catherine, damals 32 Jahre alt, musste den Mozarts Appetit gemacht haben, den Vesuv und Pompeji zu sehen. Am 9. Juni schrieb Leopold seiner Frau: „die eingehende Woche werden wir den Vessu-vium, die 2 versunkenen Stätte, wo man ganze Zimmer der Alterthümmer ausgräbt, dann Casserta & C., kurz alle Seltenheiten werden wir besehen, davon die Kupferstiche schon in Händen habe.” (S. 122) Er hatte sich also auf die Expedition gut vorbereitet. Bei der Tour nach Baiae und durch die Campi Flegrei mit Start um 5 Uhr morgens war das Besichtigungsprogramm mindestens doppelt so umfangreich wie bei heutigen Bustouren. Über den Ausflug berichtet Leopold per Brief nach Salzburg: „Man muss alle Seltenheiten zu sehen allezeit eine flambo mit haben, indem vieles unter der Erde ist. Ich und der Wolfgang waren mit unserem Bedienten ganz allein, wir hatten 6 Schifleute und den Cicerone, die alle ihre Verwunderung nicht bergen konnten, den Wolfg. zu sehen, indem die 2 alten graubarteten Schifleute sich erklärten, niemals einen so jungen Knaben dieser Orts gesehen zu haben, welcher diese Alterthümer zu sehen an diese Orte gekommen wäre.” (S. 123)
Ingrid D. Rowland schreibt über zahlreiche weitere Besucher der Vesuvgegend, etwa den russischen Maler Karl Pawlowitsch Brjullow (1799–1852), dessen Erfolg auf einem Gemälde beruhte, das er nach einer Reise nach Pompeji 1828 schuf (S. 151ff), oder Charles Dickens und Mark Twain. Ausführlich stellt sie dem Leser Giuseppe Fiorelli vor, „den ,Papst’ von Pompeji” (S. 194ff.): „Fiorelli führte als einer der ersten Archäologen stratigrafische Ausgrabungen durch, das heißt: schichtweise von oben nach unten, subtilen Veränderungen von Farbe und Textur folgend, die eine Bodenschicht oder Oberfläche von der anderen unterschieden. Die ersten Ausgräber hatten einfach Löcher in den Boden um Civita gegraben, um zu sehen, was sie finden konnten. ... Weber und La Vega revolutionierten die Ausgrabungen in Pompeji, indem sie während der Arbeiten den Straßenplan wiederherstellten, aber das bedeutete, dass sie in Gebäude vordrangen, indem sie von der Straße aus Gräben hineintrieben. Fiorellis Arbeiter hingegen entfernten die Decke aus Lapilli Schicht für Schicht und achteten dabei darauf, die Gebäude und ihre Dekoration zu erhalten.” (196) Auf Fiorelli geht auch die Praxis zurück, Hohlräume mit flüssigem Gips auszuspritzen und so geronnene Silhouetten – genannt „calchi”, also „Abgüsse” – aller möglichen Dinge zu bekommen, vom Brot bis hin zu Tischlereien und vor allem Tiere und Menschen, festgehalten in ihrem hoffnungslosen Kampf gegen die steigende Flut von Bimsstein und die giftigen Dämpfe (S. 196). Die Calchi haben unausweichlich die Art, wie Besucher auf Pompeji reagieren, verändert.
Eines der letzten Kapitel (Nr. 18 von 20) handelt von Roberto Rossellini und Ingrid Bergmann. Es geht um manches Detail, etwa das lockere Briefchen, in dem die noch unbekannte schwedische Schauspielerin dem italienischen Regisseur ihre Dienste anbot, gemeinsame Filme in den 50-er Jahren, um Dreharbeiten im Archäologischen Nationalmuseum in Neapel, im Friedhof Fontanelle und in den Ruinen von Pompeji. Jahre später beschrieb Isabella Rossellini, die Tochter von Ingrid Bergmann und Roberto Rossellini, ihre Reaktion auf Viaggio in Italia (Reise in Italien oder Liebe ist stärker, 1954): „Und Mutter besieht sich in dem Film Schritt für Schritt die Monumente und denkt: Oh, wie schön, wie reichhaltig, wie interessant. Aber plötzlich dämmert ihr: Das waren Menschen; das sind Botschaften, die sie uns hinterlassen haben. Und als sie schließlich nach Pompeji kommt und ein totes Paar (sc. den Gipsabdruck eines Paares) in seiner Umarmung sieht, bricht sie zusammen und weint. Weil das plötzlich nicht mehr das Italien des Tourismus ist. Die Kraft von Italien ist seine Geschichte, zu unseren Füßen, wo wir gehen, liegen Millionen Menschen begraben, buchstäblich begraben, manche davon mumifiziert. Und dieses Bewusstsein ist es, was in Viaggio in Italia so stark ist, was ich als Kind nicht verstanden habe, erst als Erwachsene. Am Ende des Filmes endet es mit dem Wunder, dass die beiden begreifen, wie verloren Menschen in diesem Universum sind, und sie sind durch eine Menschenmenge getrennt, und in diesem Augenblick der Panik finden sie einander und umarmen sich.” (S. 301)
Die Autorin schließt ihr zu Recht viel gelobtes Buch mit dem Bekenntnis: „Das Schönste am Schreiben dieses Buches war die Gelegenheit, in das alte und neue Pompeji zurückzukehren. Es war nie so gastfreundlich und so schön.” (S. 368) – Vielleicht sollte man – trotz aller Meldungen über den Verfall der antiken Gebäude – doch wieder einmal nach Pompeji reisen!
Frank Unruh:
Trier. Biographie einer römischen Stadt
Philipp von Zabern (WBG)
Darmstadt 2017
112 Seiten, mit etwa 100 Abb., 21 x 29,7 cm
Buchhandelsausgabe ISBN: 9783805350112
(auch als ANTIKE WELT-Sonderheft erschienen:
ISBN 978-3-8053-5012-9), Mitgliederpreis:19,95 €
(für Nicht-Mitglieder: 24,95 €)

Über die römische Geschichte der Stadt Trier kann man sich ja bei Wikipedia (https://de.wikipedia.org/wiki/Augusta_Treverorum) schnell mal informieren, aber so fachkundig, lebendig geschrieben und gut illustriert wie in dem hier anzuzeigenden Buch des Althistorikers Frank Unruh geschieht das dort nicht. Der Autor ist seit vielen Jahren am Rheinischen Landesmuseum Trier tätig und hat zahlreiche Fachpublikationen zum römischen Trier verfasst, kann also aus dem Vollen schöpfen. Seine „Biographie einer römischen Stadt” – Untertitel: „Von Augusta Treverorum zu Treveris” – umfasst die Spanne vom 23. September des Jahres 17 v. Chr. (ein aus archäologischen Befunden und historischer Überlegung errechnetes Gründungsdatum) bis zur Mitte des 5. Jahrhunderts; die Kirchenanlage Konstantins erlitt im dieser Zeit mehrfache Zerstörungen, ihre endgültige Zerstörung scheint 451 oder 455 n. Chr. erfolgt zu sein. Mehr als ein halbes Jahrhundert lang ist der Komplex danach Ruine gewesen. Von diesen ersten gut 450 römischen Jahren zehrt Trier noch heute und das zu Recht, galt sie doch als Kaiserstadt, als Hauptstadt des Westens und bekanntlich ist nirgendwo sonst nördlich der Alpen die Römerzeit so authentisch erlebbar wie in Trier. Sieben Römerbauten wurden 1986 in die Liste der UNESCO-Weltkulturerbe-Stätten aufgenommen.
Frank Unruh gliedert diese bedeutsamsten 450 Trierer Jahre in seinem Buch in acht plausible Abschnitte: 1. Von Augustus bis Vespasian – Die Entwicklungsphase der Stadt Augusta Treverorum (S. 8–20), 2. Eine 120 Jahre währende Erfolgsgeschichte für Augusta Treverorum (S. 21–48), 3. Augusta Treverorum auf dem Weg in die Krise des 3. Jahrhunderts (S. 49–58), 4. Aufstieg zur Kaiserresidenz Treveris (S. 59–71), 5. Treveris zwischen Bewahrung und Veränderung (S. 72–81), 6. Treveris als Hauptstadt des Westens (S. 82–89), 7. Vom Putsch des Magnus Maximus bis zum Ende der Residenz Treveris (S. 90–98), 8. Das römische Treveris auf dem Weg in eine andere Zeit (S. 99–109). Ein thematisch gegliedertes Literaturverzeichnis folgt (S. 110ff).
Wie diese Stadt mit ihrer multikulturellen Bevölkerung (zu der neben Römern auch keltische Treverer und griechischsprachige Zuwanderer aus dem Osten des römischen Reichs zählten, etwa aus Syrien) entstanden ist und sich entwickelt hat, zeichnet Frank Unruh Schritt für Schritt nach. Unter Augustus wohl um 17 v.Chr. – so zumindest die dendrochronologische Datierung der ersten nachweisbaren Moselbrücke – als Augusta Treverorum gegründet, entwickelte Trier sich trotz gelegentlicher politscher Unruhen zum bedeutenden Wirtschaftszentrum und Verkehrsknotenpunkt.
Bereits 44 n. Chr. bezeichnet der Geograph Pomponius Mela Trier als „urbs opulentissima“. Eine der frühesten Wandmalereien aus Augusta Treverorum – damals Zeichen für einen gewissen Reichtum – zierte einst ein Fachwerkhaus unter dem heutigen Viehmarktplatz; sie stammt aus dem ersten Drittel des 1. Jahrhunderts n. Chr. (S. 18, Abb. 9). Das damalige Bevölkerungswachstum lässt sich an den Friedhöfen entlang der Ausfallstraßen der Stadt ablesen; die Zahl der Brandgräber nimmt deutlich zu, auch die römische Beigabensitte hält Einzug.
Diese archäologische Betrachtungsweise hält der Autor auf ganz weite Strecken durch und kann den Grabungsfunden immer wieder interessante Aspekte abgewinnen, die dann ein sehr lebendiges Gesamtbild ergeben. Erst in den letzten Jahrzehnten greift er verstärkt auf schriftliche Quellen zu den christlichen Zeiten zurück.
Baumaßnahmen dokumentieren Aufstieg und Bedeutung einer Stadt: 71. n. Chr. wird anstelle der ersten Holzbrücke die neue Steinpfeilerbrücke errichtet, ihre Eichenpfähle mit eisernen Pfahlschuhen bewehrt (S. 22, Abb. 12) tragen zur Datierung bei. Im Lauf des 1. Jahrhunderts setzt sich die römisch geprägte Lebenskultur immer weiter durch und bestimmen das Erscheinungsbild der Häuser. Römische Ess- und Trinksitten, die spezielle Räumlichkeiten und das entsprechende Personal voraussetzten, verlangten nach einer Ausstattung mit Boden- und Wanddekoration, nach Mobiliar und von Säulen umstandenen Innenhöfen und Ziergärten, wie sie den Vorbildern im römischen Italien entsprachen. Ab etwa 100 n. Chr. nimmt die städtische Entwicklung der Stadt einen „explosionsartigen Verlauf” (S. 26) an, sie wird überregionales Wirtschaftszentrum und Verwaltungssitz der Provinz Gallia Belgica, ab Mitte des 1. Jhs. wird sie Amtssitz des kaiserlichen Beauftragten (procurator Augusti) für das Finanzwesen. Funktionsbauten der Provinzialverwaltung werden errichtet. Kurz nach 144 n. Chr. wird die Moselbrücke neu gebaut, um (nach teilweiser Zerstörung und Wiederaufbau an der Wende zum 18. Jahrhundert) bis heute kontinuierlich für den Verkehr genutzt zu werden. Errichtet wurden damals auch die Barbarathermen (benannt nach einem mittelalterlichen Vorort Triers), die zweitgrößte Anlage ihrer Art nach den Thermen des Traian in Rom.
Im Verlauf des 2. Jhs. n. Chr. kommt es bei der dekorativen Innenausstattung zu einem Stilwandel. Statt der vorher dominierenden Wandmalerei mit ihrem eher schlichten Wechsel von schwarzen und roten Feldern und Trennstreifen, in denen Kandelaber und Zierständer abgebildet waren, treten jetzt weißgrundige Malereien in den Vordergrund, die mit zahlreichen figürlichen Motiven aus der Mythologie und Architekturdarstellungen gefüllt wurden (Beispiele S. 32); in verstärktem Maß treten auch Mosaike als Zier der Fußböden wohlhabender Haushalte auf, zunächst als schwarz-weiße Ornamente, dann in größerer Farbigkeit mit ersten figürlichen Motiven.
Frank Unruh beschreibt den 6,4 km langen Mauerring um die Stadt, die bis zu 50 Rundtürme (erst 19 nachgewiesen) und die Stadttore mit der Porta Nigra als dem berühmtesten. Eine römische Stadt benötigte Unterhaltungsbauten, das Amphitheater mit einem Fassungsvermögen von 18000 Zuschauern und einen Circus, also eine Pferderennbahn für 50000 Besucher, ihre Lage kann bislang nur vermutet werden. Ein Muss war natürlich auch ein effektives System zur Wasserversorgung und Entwässerung (S. 39f). Mit dem rasanten Aufstieg zur Großstadt erhielt das römische Trier auch Anschluss an den „globalen” Kultur- und Wirtschaftsraum des römischen Reiches. Eine gehobene Schicht von Konsumenten verlangte nach Luxusartikeln und -gütern: Terra Sigillata, Bronzegefäße, mit Bildern verzierte Tonlampen und Gläser, Austern, Garum, Wein, Öl. Importiert wurden Früchte, Gewürze, Tiere. Trier wurde zum Ort für berufliche Karrieren, einige dieser Beamten haben deutliche Spuren hinterlassen, etwa Titus Varius Clemens (158 a 162 n. Chr.), der anschließend als Kanzleichef der Kaiser Marcus Aurelius und Lucius Verus in Rom diente (S. 46).
Durch die Verordnung des Antoninus über das Bürgerrecht im Jahr 212 wurde allen freien Bewohnern des Römischen Reiches das Bürgerrecht verliehen. Mit dieser Verordnung war auch der Status als Colonia Augusta für Trier obsolet geworden, das ab Ende des 3. Jhs. meist nur noch kurz Treveris genannt wurde. Neue Formen der Selbstdarstellung entwickelten die Angehörigen der Oberschicht (S. 51ff.), ein Aspekt der Selbstdarstellung war die klassische Bildung in Literatur, Künsten und Philosophie. Ein Mosaik aus der Johannisstraße zeigt den griechischen Naturphilosophen Anaximander aus Milet, der eine Sonnenuhr hält, als deren Erfinder er galt (S. 50, Abb. 44). Wie sich die Oberschicht der Augusta Treverorum in dieser Zeit selbst darstellte, vermag am besten ein Grabmal zu veranschaulichen, das noch heute in Igel nahe Trier an seinem ursprünglichen Ort steht, die Igeler Säule. Die Reliefs des 23 m hohen Grabpfeilers zeigen die Angehörigen einer Tuchhändlerdynastie in ihren geschäftlichen Tätigkeiten bis hin zum Transport ihrer Waren. Auch die Erwartungen hinsichtlich des Schicksals der Verstorbenen finden auf den Reliefs ihren Ausdruck (S. 52, Abb. 46).
Seit den 30-er Jahren des 3. Jhs. führten neue äußere Bedrohungen zu einer Verlagerung der staatlichen Ausgaben in den Bereich des Militärs; an den Grenzen musste verstärkt gegen die neu entstandenen Stammesverbände der Franken, Goten und Alamannen gekämpft werden. Der erhöhte Geldbedarf zur Finanzierung der römischen Truppen zog eine Entwertung des Geldes nach sich. Das Vertrauen in die Währung schwand rapide, vielerorts setzte die Rückkehr zur Naturalwirtschaft ein. Die „Währungskrise” hatte eine Stagnation bis hin zum Verfall öffentlicher Bauten und der Verkehrswege zur Folge. Dies scheint auch Augusta Treverorum betroffen zu haben. Allerdings bringen Trierer Töpfereien zu dieser Zeit einen regelrechten Exportschlager auf den Markt, die „Trierer Spruchbecher”. Man hatte die rheinische weiße Verzierungstechnik (wohl von Töpfern aus Rheinzabern) mit der schwarzen Trierer Ware kombiniert und mit charakteristischen Aufschriften versehen, die Glück und Segen, aber auch einen feucht-fröhlichen Weingenuss versprachen. Die Produkte wurden am Rhein und in Nordgallien abgesetzt, aber auch nach Britannien und bis ins heutige Rumänien exportiert. In Cetium/St. Pölten in der Provinz Noricum wurde der Laden eines Keramikhändlers ausgegraben, der die Trierer Gefäße in seinem Sortiment führte, aber auch billige Imitationen aus lokaler Produktion. Ein Zentrum für solche „Markenpiraterie” scheint Aquincum/Budapest in Pannonien gewesen zu sein; die Qualität der Ware aus Trier wurde nie auch nur annähernd erreicht. Der „Boom” der Trierer Spruchbecher sollte bis zur Mitte des 4. Jhs. anhalten.
Ein einschneidender Wandel ist in den Krisenzeiten des 3. Jahrhunderts an anderer Stelle zu beobachten: bei den Begräbnissitten. Es wurden keine oberirdischen Grabmäler mehr errichtet, die Bestattungskultur änderte sich, an die Stelle von Leichenverbrennung und Urnenbestattung trat die Beisetzung des unverbrannten Leichnams. Wer es sich leisten konnte, wählte als neuen Ort für seine letzte Ruhe die Gruft, in der Sarkophage aufgestellt wurden. Auslöser für diesen Wandel mag das Aufkommen neuer Jenseitsvorstellungen gewesen sein. Für die aus dem Osten des Römischen Reiches in den Westen gekommenen Erlösungsreligionen, zu denen auch das Christentum zu zählen ist, war der unversehrte Körper die Voraussetzung für ein Leben nach dem Tod. Mit einer ersten christlichen Gemeinde in Trier ist bereits um 270 n. Chr. zu rechnen.
Nach den Krisenzeiten gab es für Trier einen großen Entwicklungsschub und den Aufstieg zur Kaiserresidenz Treveris, verbunden mit großen Bauvorhaben. Die heute so bezeichneten Kaiserthermen entstanden, ein repräsentatives Zentrum mit der großen Audienzhalle, weitere Gebäude des Regierungsviertels wurden errichtet sowie aufwendige Privatbauten. Unter dem heutigen Landesmuseum wurde bei dessen Bau ein beeindruckendes Mosaik gefunden – im Zentrum stehen die neun Musen und antike Geistesgrößen – das zudem noch vom Künstler selbst signiert worden ist: „Monnus fecit” (S. 62). Mit den Baumaßnahmen war ein erheblicher Zuzug von Menschen verbunden.
Die nun als Treveris bezeichnete Stadt wurde in der Spätantike zu einem bedeutenden Bischofssitz des jungen Christentums. Die Trierer Bischofs-kirche bekam imperiale Dimensionen, Konstantin II. (337–340) übertraf in Trier seinen Vater Konstantin in seinem Kirchenbauprogramm. Mehr als 1300 lateinische und griechische christliche Grabinschriften sind erhalten und bieten eine ausgezeichnete Grundlage für vergleichende und statistische Untersuchungen. Aus christlichen tituli in Trier, die das Sterbedatum angeben, ließ sich etwa ermitteln, dass die höchsten Sterblichkeitsraten in den Herbst und Winter fallen, anders als in Rom, wo die meisten Todesfälle in der Zeit von Hochsommer bis Frühherbst auftraten. Dem liegen vermutlich klimatisch bedingte Ursachen für bestimmte Erkrankungen zugrunde: Atemwegserkrankungen im kälteren Norden vs. Infektionen des Verdauungstrakts im Süden.
Nach den Jahren der Bauwut folgte Stagnation und ein Wandel in der Wirtschaft. In Glashütten wurden nun hochwertige Glaswaren produziert; Trinkgläser waren zu Massenartikeln des täglichen Bedarfs geworden und lösten die Keramik im Bereich der Trinkgefäße ab. Bei der Oberschicht waren Gläser mit Schliffdekor beliebt. Spitzenprodukte der Glasherstellung sind die nur in vereinzelten Exemplaren bekannten Diatretgläser (mit einem zu einem Netz ausgeschliffenen Oberfläche); sechs Exemplare wurden bislang in Trier und Umgebung gefunden.
Dem Dichter, Rhetoriklehrer und Erzieher Gratians, dem aus Burdigala / Bordeaux stammenden Ausonius und seinem Gedicht Mosella räumt Frank Unruh mehrere Seiten ein. In Zeiten eines neuen Baubooms werden die Kaiserthermen zu einem Quartier für die Palastgarde umgebaut, das Forum umgestaltet, eine zweite Moselbrücke errichtet und zahlreiche Palastvillen gebaut. Trier entwickelt sich weiter zu einem bedeutsamen Zentrum des christlichen Glaubens.
Während sich einerseits nach einer langen Übergangsperiode des Nebeneinanders von heidnischer und christlicher Welt die Intoleranz der neuen Religion zeigte (so sind schon für das 4. Jahrhundert Verurteilungen und Hinrichtungen von Häretikern belegt), trug sie andererseits dazu bei, über das Ende der weströmischen Herrschaft hinaus ein gewisses Maß an administrativer Kontinuität und kollektiver Identität zu sichern, bis Trier 484 dem expandierenden merowingischen Frankenreich einverleibt wurde und eine neue Epoche begann. Die Kaiserresidenz war nach Arles verlegt worden. Teile des römischen Erscheinungsbilds von Treveris sind zwar noch sichtbar, aber die Klöster werden zu neuen Mittelpunkten, die antiken Großbauten verlieren ihre Funktion, urbanes Leben existiert bald nicht mehr. Neue Stadtherren sind die Bischöfe, die Basilika und vielleicht auch die Kaiserthermen als Relikte des kaiserlichen Machtzentrums übernahmen Aufgaben für die Residenz der Bischöfe. Aus den neuen Stadtherren Triers wurden Erzbischöfe und schließlich Kurfürsten des Reiches.
Unruh legt in seinem flüssig geschriebenen Text den Schwerpunkt auf Bau- und Ereignisgeschichte, die eng miteinander verquickt sind. Neben Fotos der erhaltenen Gebäude bzw. Ruinen finden sich unter den Illustrationen zahlreiche Rekonstruktionsdarstellungen, bei denen klar darauf hingewiesen wird, was belegt und was Interpretation ist. Da für Triers Geschichte die religiöse Entwicklung von zentraler Bedeutung war, geht der Autor ausführlich auf Tempel-, Grab- und Kirchenarchitektur ein, in denen die sich wandelnden Glaubenssysteme ihren sichtbarsten Ausdruck fanden. Aber auch Details der Ausstattung von Wohnhäusern und öffentlichen Bauten (z.B. Wandmalereien und Mosaiken) nehmen breiten Raum ein. Einzelfunde wie Glas, Keramik, Münzen oder Schmuck kommen zur Sprache und werden prächtig ins Bild gesetzt. In vielen Fällen wird hervorgehoben, ob und wie Reste von Gebäuden und besonders interessante Funde heute für Besucher zugänglich oder museal präsentiert sind. Das Buch eignet sich in hervorragender Weise zur Vorbereitung einer Klassen- oder Kursreise in das römische Trier.
Wer zur Vorbereitung einer Trierreise noch philologische Quellen und Themen berücksichtigen möchte, sollte zusätzlich zu dem Buch von Wilfried Stroh greifen Scripta Treverorum:Lateinische Spaziergänge durch zwei Jahrtausende Trier, Kliomedia Trier 2014, 248 Seiten. Wie sonst ein Touristenführer durch die Straßen, so leitet dieses unterhaltsame Buch durch die Epochen einer Stadt, die bis heute ohne ihr Latein nicht zu denken ist.
Verjüngte Antike. Griechisch-römische Mythologie und Historie in zeitgenössischen Kinder- und Jugendmedien
herausgegeben von Markus Janka und Michael Stiersdorfer
Universitätsverlag Winter, Heidelberg
1. Auflage, 2017 ,392 Seiten
ISBN: 978-3-8253-6715-2, 45,00 €

Zu den wichtigen Themenkreisen der Kinder- und Jugendliteratur zählten schon im 18. und 19. Jahrhundert Sagenstoffe und geschichtliche Themen der antiken Welt der Griechen und Römer. Das Lexikon der Kinder- und Jugendliteratur (herausgegeben von Klaus Doderer, Band 1, 1975, Stichwort Altertum, S.31f.) nennt als Hauptformen dieses Genres: „1. die psychologisch vertiefte Nacherzählung des Sagengutes, 2. Lebensbilder bedeutender geschichtlicher Persönlichkeiten, in deren Zeit man moderne Problematik der Gesellschaft und Politik einzuspiegeln versucht, und 3. breitere Darstellungen historischer Vorgänge in spannenden, phantasievollen Erzählformen.” In den vergangenen Jahrzehnten wurden – wohl parallel zum schulischen Unterricht – die Geschichten aus der Welt der Griechen und Römer für Kinder und Jugendliche stark zurückgedrängt, andere Zeiten und neue Themen haben an Bedeutung gewonnen, der Jugendbuchmarkt ist internationaler geworden, neue Medien sind hinzugekommen. Umso mehr lassen die Thesen aufhorchen, die von den beiden Herausgebern dieses Sammelbandes, dem Münchner Klassischen Philologen Markus Janka und dem Regensburger Germanisten Michael Stiersdorfer, formuliert werden: In der Alltagskultur des neuen Millenniums sei eine multimediale Renaissance der Antike zu beobachten. Vor allem in der Kinder- und Jugendliteratur boomten Aktualisierungen von Einzelelementen wie Figuren, Gegenständen und Settings sowie Motiven aus der griechisch-römischen Mythologie und Historie.
Der Sammelband „Verjüngte Antike. Griechisch-römische Mythologie und Historie in zeitgenössischen Kinder- und Jugendmedien” definiert im Dialog der Fächer Forschungsfelder in diesem wissenschaftlichen Neuland. Für den deutschen Sprachraum hilft die hier vorgelegte Synthese einem Desiderat ab. Dabei fokussieren die 17 Beiträge Rezeptionsdokumente und Adaptionsweisen
aus unterschiedlichen geschichtlichen, sprachlichen, kulturellen und medialen Kontexten.
Die hier zu lesenden Aufsätze gehen auf Vorträge zurück, die auf der internationalen Tagung „Medusa und Co. reloaded. Verjüngte Antike im Mediendialog. Transformationen griechisch-römischer Mythologie und Historie in Kinder- und Jugendmedien der Moderne und Gegenwartskultur”, die vom 6. bis 8. Oktober an der LMU in München stattfand. Ein wesentliches Ergebnis formulieren die Herausgeber bereits in der Einleitung: „Die in den vergangenen Jahrzehnten mehr und mehr diversifizierten Untersuchungen zur Rezeption der Antike in verschiedenen nach Epochen, Autoren, Gattungen und Medien gebildeten Traditionsstränge suggerieren eine Kontinuität und Homogenität der jüngeren Forschungsentwicklung. In den Hintergrund scheint bei diesem terminologischen Traditionalismus folgende Erkenntnis zu rücken: Die Studien zur Wirkungsgeschichte der Antike, ihrer Rezeption, Transformation oder Präsenz haben sich material und methodisch seit dem Beginn des neuen Milleniums so entscheidend weiterentwickelt, ja verwandelt, dass eine Anbindung an herkömmliche Konzepte von ,Nachleben’ im Sinne eines Wiederauferweckens einer fernen und fremden Vergangenheit im Wortsinn überlebt zu sein scheint.” (16f)
Hier tut sich ein weites Feld auf. Die Autoren und Herausgeber dieses umfangreichen Bandes versuchen mit den Zugangsweisen der Klassischen Philologie und der altertumswissenschaftlichen Antikenrezeptionsforschung, der germanistischen und romanistischen Literaturwissenschaft, der Kinder- und Jugendliteraturforschung sowie der Literatur- und Mediendidaktik in dezidiert europäischer Perspektive, d.h. mit besonderer Berücksichtigung unterschiedlicher europäischer Sprachräume, neue Wege zu bahnen.
L. Caecilius Iucundus:
Die pompeijanischen Quittungstafeln des Lucius Caecilius Iucundus
lat./dt. herausgegeben, eingeleitet, übersetzt und kommentiert von Arno Hüttemann
WBG, 2017, 240 Seiten mit 2 Abbildungen, geb., 79,95 Euro
ISBN: 978-3-534-26863-4

Als Giuseppe Fiorelli Leiter der Ausgrabungen in Pompeji war (1863–1875), ließ er die Ausgrabungen nach einer neuen Methode vornehmen. Frühere Ausgräber hatten zunächst Straßen freilegen lassen und waren von dort aus seitwärts in die Häuser vorgedrungen, hatten dabei aber in Kauf genommen, dass Wände infolge des Erddrucks aus den noch nicht freigelegten Teilen des Hauses einstürzen konnten (weshalb ja auch heute Baugruben nicht schon verfüllt werden, wenn die Kellerwände hochgezogen sind!). Fiorelli ließ im Unterschied dazu von oben graben. Dieser Grabungsmethode ist es vermutlich geschuldet, dass der Fund im Oberstock des Hauses an der Ostseite der Via Vesuvio (reg. V 1,26) beisammen und einigermaßen intakt blieb. Bewohner und Eigentümer des Hauses in neronischer Zeit war L. Caecilius Iucundus; gefunden wurde das Fragment eines Kastens, ursprünglich 70 cm hoch, breit und tief, der aber noch im Moment seiner Freilegung in Staub zerfiel. „Von stabilerer Konsistenz war sein Inhalt, eine Menge verkohlter Wachstäfelchen rechteckigen Formats aus Tannen- oder Pinienholz, ordentlich nebeneinander gestapelt, allerdings vielfach beschädigt, viele fragmentiert oder gar fast pulverisiert, das Wachs der Schreibtäfelchen weitgehend geschmolzen oder mit Siegelwachs verschmolzen, nur wenige so gut wie vollständig in ihrer verkohlten Form erhalten.” (S. 11)
Der Fund wurde – wie es heißt: summa cum cautione et diligentia – ins Museo Nationale nach Neapel gebracht und in der Sonne getrocknet und gehärtet. Sodann wurden die Einzelteile eines jeden Schreibtäfelchens in mühevoller Kleinarbeit zusammengelegt und mit einem Holzrahmen umschlossen. Keines der Täfelchen ist breiter als 150 mm oder höher als 125 mm. Meist drei von ihnen waren zu sechsseitigen Triptychen wie zu einem kleinen Buch zusammengebunden, auch vierseitige Diptychen finden sich.
In ihrem Inhalt erweisen sich die Täfelchen als im damaligen römischen Rechtsverkehr übliche urkundliche Quittungen (apochae). Die allermeisten zeigen L. Caecilius Iucundus in seiner Funktion als Auktionator sowie als Steuerpächter bzw. Pächter gemeindeeigener Grundstücke in den Jahren 52 bis 62 n. Chr.
Die Bedeutung des Fundes vom 3. und 5. Juli 1875 war den Verantwortlichen in Pompeji schnell bewusst. Schon 1876 legte Giulio De Petra, seit Mai 1875 Direktor des Museo Nazionale, eine erste Textedition von 127 Quittungstafeln vor, die er zusammen mit Wissenschaftlern des Museums erarbeitet hatte. An einer weiteren Bearbeitung beteiligte sich Theodor Mommsen; der Heidelberger Professor für klassische Philologie und Oberbibliothekar an der Universität Heidelberg Karl Zangemeister schuf eine gründliche Neuedition im Rahmen des Corpus Inscriptionum Latinarum und edierte 1898 153 Quittungstafeln. Er hatte sogar die Erlaubnis erhalten 31 Tafeln im November 1877 über die Alpen mit nach Heidelberg zu nehmen, wo er sich größere Ruhe für Arbeiten an schwer zu entziffernden Tafeln erhoffte. Allerdings ließen dann die Lichtverhältnisse nördlich der Alpen anders als unter neapolitanischer Sonne ein sicheres Entdecken und Lesen von Buchstaben nicht zu.
Arno Hüttemann, der Herausgeber dieses Buches, hält eine Neuedition, zu erarbeiten etwa mit den Möglichkeiten moderner Infrarot-Technik, angesichts der vielen unsicher zu lesenden Textstellen für prinzipiell sinnvoll, fragt sich aber, ob ihr Erhaltungszustand eine gründliche Neubearbeitung zulässt und ob dabei Erkenntnisse, die über die Lesarten Zangmeisters hinausgehen, noch zu erwarten sind.
Die wissenschaftliche Beschäftigung mit den Quittungstafeln galt von Anfang an vornehmlich rechtshistorischen Fragestellungen; später kamen sozialwissenschaftliche Fragestellungen hinzu, mittlerweile greifen auch populärwissenschaftliche Veröffentlichungen darauf zurück. Mary Beard nennt den Fund der Quittungstafeln des Iucundus sogar „eine der ungewöhnlichsten Entdeckungen in der Geschichte der Ausgrabungen von Pompeji, ein wunderbar anschauliches Material, für die Geschichte der pompejanischen Wirtschaft eine wahre Goldgrube und das umfassendste pompejanische Personenregister, das wir haben” (S. 21; vgl. M. Beard, Pompeji. Das Leben in einer römischen Stadt, Stuttgart 2010, 241–255).
In der vorliegenden Ausgabe von Arno Hütte-mann sind alle Quittungstexte erstmals ins Deutsche übersetzt. Apparat, Erläuterungen und Anhang sind in deutscher Sprache gehalten, Ergebnisse historisch-politischer, archäologischer, epigraphischer und prosopographischer Studien ergänzen jeweils Text und Übersetzung und lassen die Konturen der bei den Geschäftsvorgängen handelnden Personen (Veräußerer, Auktionator, Käufer, Zeugen) deutlicher werden. Arno Hüttemann war Gymnasiallehrer für Latein und Geschichte in Düsseldorf und Rösrath.
Zahlreiche Aufenthalte in Pompeji und am DAI in Rom gaben den Anstoß für die Beschäftigung mit den Quittungstafeln des Lucius Caecilius Iucundus.
Triumph ohne Sieg. Roms Ende in Germanien
Begleitband zur Ausstellung im LWL-Römermuseum Haltern.
Herausgegeben von Dr. Rudolf Aßkamp und Kai Jansen, Philipp von Zabern, Mainz.
166 S., 39,95 Euro; in der Ausstellung 29,95 Euro

Als Lehrer wählt man – und das geht nicht nur mir so – seine Lektüren danach aus, ob sie etwas für den täglichen Unterricht bringen oder nicht. Für anderes bleibt keine oder kaum Zeit und Muße. Dieser Katalogband erfüllt dieses Kriterium hervorragend, denn im Mittelpunkt steht der römische Triumphzug – von Triumphator, Triumphzugstrecke über Triumphikonographie bis Triumphalkunst. Meine Enkelin würde wieder einmal vollmundig feststellen: „Opa, wenn du das alles gelesen hast, dann weißt du alles über einen Triumphzug!” An dieser Stelle ergänze ich gleich, dass auch die zahlreichen großformatigen Abbildungen zum Thema (üblicherweise größer und besser als in Schulbüchern) eine hervorragende Information darstellen. Auf dem neuesten Forschungsstand macht diese Darstellung in Text und Bild vor allem Organisation und Bedeutung eines Triumphzuges deutlich.
Die Varusschlacht gilt als Wendepunkt der römischen Expansionsbestrebungen in Germanien. Neun Jahre nach dem erfolgreichen Ausstellungsprojekt zur Varusschlacht wird das LWL-Römermuseum in Haltern am See wieder zum Schauplatz einer aufwendigen Ausstellung über die Römer im damaligen Germanien. Der spektakuläre Triumphzug des Feldherrn Germanicus vor genau 2.000 Jahren in Rom am 26. Mai 17 n. Chr. und das Ende der römischen Herrschaft in Germanien bilden den Ausgangspunkt für das Ausstellungsprojekt, das der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) in seinem Römermuseum vom 2. Juni bis zum 5. November 2017 unter dem Titel „Triumph ohne Sieg. Roms Ende in Germanien” präsentiert.
Bei der Eröffnung der Sonderausstellung im Römermuseum Haltern am See sagte LWL-Direktor Matthias Löb: „US-Präsident Trump hat wahrscheinlich noch nie von dem römischen Kaiser Tiberius gehört, aber gelernt hat auch er von ihm allemal. ... Unsere Ausstellung dreht sich um Fake news, um Niederlagen, die zu Siegen umgedeutet werden, um symbolische Politik durch Massenveranstaltungen und um alternative Wahrheit – nur eben vor 2.000 Jahren.”
Der Triumphzug des Nero Claudius, genannt Germanicus, war ein spektakuläres Ereignis. Der oberste Feldherr war von Kaiser Tiberius nach Rom zurückgerufen worden, weil der Krieg in Germanien zu teuer und zu verlustreich war. Tiberius kannte Germanien aus eigener Anschauung gut, er wusste, dass dieses Gebiet nicht reich an Bodenschätzen war und registrierte die erheblichen Verluste an Menschen und Material der vorhergegangenen Kriegsjahre genau. Auf geschickte Art hat er den dreijährigen, eigentlich nutzlosen und sieglosen Krieg seines Adoptivsohns Germanicus beendet und in einen Sieg umgewandelt: Ende Mai 17 n.Chr. feierte er seine Rückkehr als grandiosen Triumph.
Vor diesem Hintergrund werden die Besucher im ersten Teil der Ausstellung zu Zuschauern des Triumphzuges. Auf den ehrwürdigen Straßenpflaster der Via Sacra wandeln die Museumsbesucher. Menschenmengen links und rechts der zentralen Straße im Forum Romanum jubeln ihnen zu. Ganz Rom feiert mit pompösem Aufwand einen Triumph, den die prunkvollen Exponate am Wegesrand bezeugen: Skulpturen des Feldherrn in Siegerpose etwa, vier stolze Rösser ziehen seinen Schlachtenwagen. Beutestücke aus Germanien, Statuen von Musikern und bronzene Liktoren mit ihren Rutenbündeln, Halbreliefs mit Priestern und Stieren, die ein Opferritual vorbereiten. Der Triumph in Rom dient als spektakulärer Fixpunkt, um die damit verbundenen Ereignisse schlaglichtartig zu beleuchten.
Der zweite Teil lenkt den Blick auf die militärischen und politischen Entwicklungen in Germanien und die Zeit vor dem vermeintlichen Sieg des Germanicus. Funde aus den römischen Lagern entlang der Lippe wie etwa Haltern am See, Holsterhausen (beide Kreis Recklinghausen), Oberaden, Beckinghausen (beide Kreis Unna), Olfen (Kreis Coesfeld) und Anreppen (Kreis Paderborn) sowie zahlreiche Exponate von weiteren Fundplätzen in Germanien veranschaulichen die römischen Okkupationsbemühungen in Germanien.
Der dritte Teil der Ausstellung widmet sich ganz dem „Römischen Triumph” und den Fragen, wer, wann und aus welchem Anlass im antiken Rom einen Triumphzug abhalten durfte - mit strengem Protokoll: Zuerst kamen im Zug Beute und Gefangene, dann der Triumphator mit Opfertieren und Behördenvertretern (Liktoren und Staatsbeamten) und schließlich die Armee. Es geht aber auch um die spätere Darstellung von Triumphzügen, zum Beispiel um die Darstellung der gefangenen Thusnelda, der Ehefrau des Varus-Bezwingers Arminius. Diese prominente Geisel im Triumphzug des Germanicus war in der Historienmalerei des 18. und 19. Jahrhunderts ein beliebtes Motiv.
Der letzte Teil bietet einen Blick in die Zukunft in Form der sogenannten kontrafaktischen Geschichtsschreibung – die Geschichtsdarstellung, die sich nicht mit dem befasst, was tatsächlich geschehen ist, sondern mit dem, was geschehen wäre, wenn sich die Ereignisse anders entwickelt hätten. Was wäre also gewesen, wenn Germanicus doch gesiegt hätte, fragt die Ausstellung. Und zeigt mithilfe von Computeranimation und weiteren Exponaten, was eine von Veteranen besiedelte Colonia nach dem Vorbild Roms enthielt: Forum, Tempel, Theater, Thermen. Wer es sich leisten konnte, schritt in seinem Haus über edle Mosaike statt Lehmböden und blickte auf prachtvolle Wandmalereien. Die römischen, vom Wasser ausgehenden Verkehrssysteme werden erklärt oder Handelswege und Manufaktur wie die in ihren Schlangenfadenornamenten kreative Glasbläserei in Köln. Auch wenn sich die bewusst sparsam gehaltenen, gut verständlichen Wandtexte mit Wertungen zurückhalten, drängt sich aus heutiger Sicht doch ein leises Bedauern darüber auf, was Aliso mit dem Abzug der Römer alles entgangen ist. Das in der antiken Literatur erwähnte Kastell Aliso (korrekter wohl Háliso, vgl. S. 93), wohl das heutige Haltern am See (die Identifikation ist umstritten, vgl. Katalog S. 91), hätte sich zu einem Zentralort in der Region entwickelt. LWL-Museumsleiter Dr. Rudolf Aßkamp hält es für sehr wahrscheinlich, dass das antike Aliso ist mit dem heutigen Haltern am See identisch ist (vgl. S. 102–104). Aliso war nach der Varusschlacht der einzige römische Stützpunkt auf der östlichen Seite des Rheins. „Und der Fundort im Osnabrücker Land bei Kalkriese ist nicht der Ort der Varusschlacht, sondern geht auf die Ereignisse des Jahres 15 n. Chr. rund um Germanicus zurück” – so Museumschef Rudolf Aßkamp. Ein neueres Fundstück aus Kalkriese unterstreicht diese Sichtweise; es handelt sich um das Mundblech einer Schwertscheide, das die Inschrift LPA trägt, Abkürzung für Legio Prima Augusta. Diese Legion zog aber nicht mit Varus, sondern erst mit Germanicus durch Germanien. Da neue Funde in jüngster Zeit manche Grundannahmen der Grabungen seit 1987 wieder infrage stellen, sehen sich jene bestätigt, die nicht Varus, sondern ein Korps des Germanicus hier kämpfen lassen.
Der 166 Seiten starke Ausstellungskatalog enthält folgende Beiträge: Werner Eck, Gewinn und Verlust – Augustus, seine Familie und ihr Kampf um das rechtsrheinische Germanien (S. 10–21). – Ralf Grüßinger, Bilder vom Sieg – Römische Triumphalkunst im gesellschaftlichen Kontext (S. 22–35). – Sven Th. Schipporeit, Auf den Pfaden der Sieger – Die Triumphstrecke durch Rom (S. 36–54). – Thomas Schäfer, Der Triumphzug – Realität und ikonographisches Narrativ (S. 55–71). – Jan B. Meister, Der Triumphator – Gewand und Insignien der Macht (72–80). – Bernd Rudnick, Die Germanenkriege des Augustus 12 v. bis 10 n. Chr. in der archäologischen Überlieferung (S. 81–92). – Peter Kehne, Germanicus und die Germanienfeldzüge 10 bis 16 n. Chr. (S 93–101) – Rudolf Aßkamp, Aliso und Haltern (S. 102–104). – Patrick Jung, Thermen, Märkte und Tempel – Stadtkultur im römischen Deutschland (S. 105–119). – Friederike Naumann-Steckner, Privater Luxus an Rhein und Mosel (S. 120–135). – Kathrin Jeschke, Immer eine gute Grundlage – Versorgung und Infrastruktur in den germanischen Provinzen (S. 136–144). – Wilm Brepohl, Wenn Germanicus gesiegt hätte ... (S. 145–151). – Ein Anmerkungsteil und ein Literaturverzeichnis folgen (S. 152ff bzw. S. 156–162).
Ein prächtiger Katalog zu einer prächtigen Ausstellung!