Katherine Doyle (USA) – Actaeon, 2008 (S. 57)

Katherine Doyle Actaeon bearb

Das Bild versetzt den antiken Mythos in die heutige Zeit, wobei der Jäger mit seinen Hunden vor dem Badezimmer genauso deplatziert wirkt wie Actaeon selbst vor der Quelle, an der Diana mit ihren Nymphen badet. Beides ist ein Einbruch in eine intime Welt. Der Teppich mit seinem strukturellen Muster ersetzt den Wald als Handlungsort. Der „Jäger“ steht bei Ovid metaphorisch auch für den Liebesjäger bzw. Frauenjäger, der auf „Beutefang“ aus ist. Sein Blick wird – genauso wie der des Betrachters – von der offenen Tür fast magisch angezogen, der Blickkontakt und die Enthüllung der intimen Szene ist fast unvermeidbar.

Der verbotene Blick bildet das Grundmotiv bei Ovid. Dieser wird durch eine mehrfache Spiegelung bildhaft reflektiert: der Türspiegel und der Wandspiegel im Bad lenken den enthüllenden Blick zurück, auch auf den Betrachter des Bildes, auf uns selbst. Hinter dem Jäger wird ein Bild an der Wand erkennbar; es ist die berühmte Actaeon-Darstellung Tizians (1556-1559) und verweist auf die Spiegelung des Mythos in den vielfältigen Rezeptionsformen der Kunst.

Patrick Treacy (Kanada) – Actaeon, 2014 (S. 60)

Patrick Treacy Actaeon bearb

Erschrecken und Sprachlosigkeit prägen die Reaktion des Actaeon, der das so plötzliche Verwandlungsgeschehen überhaupt erst realisieren muss. Erst als er – im Anschluss an die spontane Flucht, die bereits Ausdruck seiner neuen Hirsch-Natur ist – einen Moment der Ruhe und damit der Besinnung erfährt, erblickt er im Spiegel einer Pfütze sein verändertes Aussehen. Angst und Hilflosigkeit prägen von da an sein Verhalten.

Grant Hanna (USA) – Actaeon, 2010 (S. 63)

granthnna grossIm Gegensatz zu den aufrechten Hörnern des verwandelten Actaeon bei Patrick Treacy weisen Ohren und Geweih nach hinten und sind eher Ausdruck einer verschreckten, schüchternen Haltung. Die starren Augen und der zum Schrei geöffnete, blutig-rote Mund, dem jedoch das menschliche Sprechen, die Kommunikation, längst schon fehlt, dazu der nach oben (zu den Göttern?) gerichtete Blick, all dies ist Ausdruck der Agonie, des Leidens.

Wie kleine Plagegeister haben sich die Hunde bereits in Nacken und Hals verbissen oder sitzen dominierend auf seinem Haupt, eine fast psychosomatische Darstellung menschlicher Seelenqual. Hilfslos wirkt Actaeon auch deswegen, weil ihm nicht nur die Sprache, sondern auch die Hände fehlen, um noch „handeln“ zu können.

Kevin Richard (USA) – Echos eines ewigen Narzissten, 2014 (S. 65)

Kevin Richard Actaeon bearb

Selbstspiegelung (als Ausdruck der Fixierung auf das Selbst) und der Automatismus des Echos (die fehlende Selbstbestimmtheit und das mangelnde Selbstbewusstsein in der Antwort) bilden die Gegenpole dieser fast tiefenpsychologischen Erzählung. Ewig ist der Narzisst, weil er aus seiner Fixierung kaum herausfindet; ewig ist aber auch das Echo, da ihm der Antrieb zu einer Selbstäußerung fehlt. Narcissus und Echo sind beide in ihrer Wesensart, ihrem inneren Sein, fixiert, ja, gefesselt. So wie Ovid das Echo in paradoxer Weise erklärt als „umbra imaginis repercussae“ (Met III, 434), Schatten eines zurückhallenden Bildes, deutet auch der Bildtitel „Echos eines Narzissten“ (statt: Spiegelungen eines Narzissten) auf die Überlagerung von Spiegelung und Widerhall. Der Maler Kevin Richard, selbst studierter Psychologe, will die Aktualität des Mythos in der menschlichen Seele und im modernen Leben zeigen. Narzisstische Spiegelungen finden sich heute allerorten, vom Facebook-Profil bis zum Selfie. Dahinter aber bleibt die Frage ungelöst: Wer bin ich eigentlich selbst?

Die Tragik einer Echo-Gestalt zeigt sich besonders eindringlich in der einzelnen Narzisse, die sie in Händen hält, die sie aber – kaum zufällig –
nicht selbstbewusst trägt, sondern in dem Narzissenstrauch verschwinden lässt. Sich selbst vermag sie nicht offen darzustellen, von sich selbst schweigt sie beschämt.

David Spear – Arcadia, 2004 (S. 69)

arcadia titel

Das Bild ist ein Potpourri ovidischer Mythen, transferiert in den Alltag modernen Großstadtlebens. Dahingegen treten ovidische Figuren meist abgesondert auf, in der Natur oder im Hausinneren. Sie entfliehen geradezu der urbanen Welt, wie es bei Pyramus und Thisbe am deutlichsten der Fall ist, und treten auf der von Ovid konstruierten literarischen Bühne als Einzelfiguren meist innerhalb einer Paarkonstellation auf.

Arkadien ist der mythische Ort der Musen und der bukolischen Idyllen, eine ländliche Welt des einfachen Hirtendaseins, das in der Musik den seelischen Ausdruck der Lebensfreude, aber auch des Leides findet.

Im Zentrum des Bildes kämpft Theseus, von Ariadne und ihrem Wollknäuel symbolisch begleitet, gegen den Minotaurus. Das Muster auf dem Boden erinnert an das Labyrinth von Knossos.

Im rechten Vordergrund umklammert der Gott Apollo (mit Laufschuhen) die in einen Lorbeerbaum verwandelte Nymphe Daphne. Der Schatten ihrer Blätter reflektiert auf dem Boden.

Der Gitarrenspieler mit seiner Angebeteten auf der Parkbank erinnert an Orpheus und Eurydike. Auf die junge Braut, die am Tage ihrer Hochzeit stirbt, mögen die Blumen im Hintergrund bezogen sein (Symbol ihrer blühenden Jugendlichkeit). Der Flötenspieler links vorne mit dem Hund an seiner Seite könnte dementsprechend der Unterweltsgott Pluto (gr. Hades) mit Kerberus, dem dreiköpfigen Wachhund der Unterwelt, sein.

Der im rechten Hintergrund an die Ampel angelehnte Trinker (mit Flasche in der Hand) mag die Phantasiewelt des Mythos bezeichnen (im Gegensatz zur realen Welt); der Künstler mit seiner Zeichenmappe (sketchbook), der rechts unten von der Szene wegläuft, ist derjenige, der die Imaginationswelt des Mythos im Bilde festhält.

David Spear – Philemon and Baucis, 2013 (S. 70/71)

David Spear Philemon and Baucis 2013

Philemon und Baucis ist eine der wenigen Erzählungen geglückter und glücklicher Liebe bei Ovid. Das alte, fromme Paar, das trotz seiner Armut die Götter Jupiter und Merkur (Zeus und Hermes) gastfreundlich aufnimmt, wird belohnt: ihr Haus verwandelt sich in einen Tempel und bei ihrem Tod verwandeln sie sich schließlich in zwei ineinander verschlungene Bäume, eine Eiche und eine Linde. Sie werden so zum bleibenden Symbol liebender Partnerschaft.

Das Bild von David Spear setzt das Thema sozialkritisch um. Der heilen, bunten Welt privaten Glückes und Wohlergehens steht – durch die Meeresbucht getrennt – die anonyme, farblose Großstadtwelt gegenüber, über der sich drohende Wolken türmen.

Steve Delamare – Pygmalion, 2009 (S. 73)

pygmalion gross

Pygmalion verkörpert den Traum eines jeden Künstlers, etwas Vollkommenes zu erschaffen und dieses lebendig werden zu lassen. Die Arbeit an der Realisierung seines Traumes von einer perfekten Frau wird im Hintergrund anhand der verschiedenen „Modelle“ sichtbar. Pygmalion befindet sich im Zustand des Zweifels und der Verzweiflung, hat seinen Glauben an das Wunder der Kunst und der Liebe verloren.

In diesem Moment jedoch wird sein Traum Wirklichkeit, die von ihm geschaffene Elfenbeinstatue erwacht, der Wunsch wird zur Realität. Wie aber die Realisierung des Traumes sich auswirkt, welche Folgen eine solch unmögliche Beziehung haben wird, bleibt im Mythos und im Bild offen.

Nicolas Szuhodovszky – the transformation of Daphne, 2016 (S. 75)

Nicolas Szuhodovszky the transformation of Daphne 2016

Dem Verfolgungslauf zwischen Apollo und Daphne – wieder handelt es sich um eine Liebesjagd –
geht ein Streit zwischen Apollo und Cupido voraus. Metaphorisch ist darin der Streit zwischen Epos (Apollo) und Liebeselegie (Cupido) symbolisiert; beide Gattungen verschränkt Ovid in den Metamorphosen miteinander.

Daphne, die sich ängstlich nach ihrem Verfolger umschaut und die ihren Vater, den Flussgott Peneus (vgl. das Schilfrohr im Vordergrund), um Hilfe gebeten hatte, verwandelt sich zu ihrem Schutz in einen Lorbeerbaum. Statt von weicher Haut wird sie bald von harter Rinde umgebeben und auf diese Weise vor der Zudringlichkeit Apollos geschützt sein. Apollo wurde oft mit dem Lichtgott Sol (Sonne) identifiziert; sein griech. Beiname lautet Phoibos, der Strahlende. Wie nahe er Daphne schon gekommen ist, zeigen die Lichtstrahlen, die die fliehende Nymphe gleichsam schon abtasten.

Danielle de Martini – Icarus, 2009 (S. 78)

Danielle de Martini Icarus 2009

Der Mythos vom jungen Ikarus, der gegen alle Ermahnungen des Vaters und gegen jede Vorsicht und Voraussicht zu hoch fliegt, die Grenzen und Gefahren der Technik im Rausch der Geschwindigkeit und des Fliegens vergessend, gehört zu den großen Menschheitsmythen. Er symbolisiert, ähnlich wie der Mythos von Prometheus, den Drang des Menschen nach dem Höheren, nach dem Außerordentlichen, nach der Erkenntnis (Sonnensymbol).

Im Bild greift er noch nach dem Ungreifbaren, der Sonne selbst, und doch werden sich bei seinem schon bald erfolgenden Absturz – die Federn lösen sich bereits – das Himmelsblau mit dem Meeresblau mischen. Ikarus wird jede Orientierung verlieren und schon bald auch sein Leben. Danielle de Martini – Icarus, 2009 (S. 76)

Der Mythos vom jungen Ikarus, der gegen alle Ermahnungen des Vaters und gegen jede Vorsicht und Voraussicht zu hoch fliegt, die Grenzen und Gefahren der Technik im Rausch der Geschwindigkeit und des Fliegens vergessend, gehört zu den großen Menschheitsmythen. Er symbolisiert, ähnlich wie der Mythos von Prometheus, den Drang des Menschen nach dem Höheren, nach dem Außerordentlichen, nach der Erkenntnis (Sonnensymbol).

Im Bild greift er noch nach dem Ungreifbaren, der Sonne selbst, und doch werden sich bei seinem schon bald erfolgenden Absturz – die Federn lösen sich bereits – das Himmelsblau mit dem Meeresblau mischen. Ikarus wird jede Orientierung verlieren und schon bald auch sein Leben.

David Spear – Proserpina (S. 81)

David Speer Proserpina

Der Mythos von Proserpina (gr. Persephone), die nach ihrer Entführung durch den Unterweltsgott Pluto (gr. Hades) jeweils für einige Monate in der Unterwelt bleiben muss, um in jedem Frühling in die Oberwelt zurückzukehren, ist ein uralter Vegetationsmythos, der den Wechsel der Jahreszeiten erklärt.

David Spear deutet die Bezieung zwischen Ober- und Unterwelt in vielfältiger Symbolik an (die Symbole auf der Pforte zur Unterwelt und auf dem Fries am Rande der Unterwelt), vor allem aber zeigt er den Trennungsschmerz zwischen Mutter und Tochter (Proserpina und Ceres bzw. Demeter und Kore), deren Hände sich in jedem Herbst bei der Rückkehr Proserpinas in die Unterwelt voneinander lösen müssen. Die Mutter muss ihre Tochter der Unterwelt, dem Tod, überlassen.