Die drei Artes des Ovid werden zumeist als Einzelwerke betrachtet; wohl wird die engere Bindung, die zwischen Ars amatoria und Remedia amoris herrscht, allgemein anerkannt – doch gehören nicht auch die Medicamina faciei femineae sehr eng zu diesen beiden? Im folgenden möchte ich versuchen, diese literarischen Interdependenzen weit in eine Richtung auszuloten und die drei genannten Werke als Trilogie betrachten, also als aus drei Teilwerken zusammengesetztes Einzelwerk1; dazu betrachte ich einerseits die äußere und dann die innere Einheit, d. h. lege dar, welche Gemeinsamkeiten die drei Werke gegenüber der Gattungstradition und dem Gesamtwerk Ovids auszeichnen und somit als Einheit erscheinen lassen, und werfe anderseits einen Blick auf die Bezüge zwischen den Teilwerken, die so weit kohärenzstiftend wirken, dass sie als kompositorische Merkmale gelesen werden können. Wegen der Enge des hier zur Verfügung stehenden Raumes denke ich hier nur einiges bezüglich der Makrostrukturen an und lasse die vielfältigen Einzelbezüge unberücksichtigt – und wenn man nicht unter die Ebene des Einzelbuches geht, ist nebenbei ja auch die Schwierigkeit zunächst eliminiert, dass die Med. nur fragmentarisch überliefert sind.2 Ich möchte hier zudem lineare Kohärenzstrukturen – die fortlaufenden Textteile zu einem Ganzen verknüpfen – von hypertextuellen unterscheiden, die mehrere Werke über andere hinweg in Klammerstellung miteinander in Beziehung setzen. Dadurch, dass diese Bindungen im Falle der Ars einzelne von deren Büchern teils enger an eins der beiden anderen Teilwerke knüpfen als an die anderen Bücher desselben Teilwerks, wird die innere Einheit des Gesamtwerkes gegenüber der äußeren Einheit der Teilwerke sehr stark betont. 

Zunächst einmal setzt sich die Trilogie vom sonstigen Schaffen Ovids3 dadurch ab, dass ihre Teilwerke in der Tradition des hellenistischen Lehrgedichts stehen; in diese Gattung aber bettet sie nicht nur der Inhalt, sondern auch die Titel Med. und Remed. ein, die mit ihrem pharmakologischen Vokabular die beiden äußeren Werke innerhalb des Gesamtwerks miteinander verklammern und sich zugleich gemeinsam auf zwei herausragende Vertreter der Gattung beziehen, nämlich auf die Θηριακά und die Άλεξιφάρμακα des Nikander von Kolophon.

Von der Gattungstradition abgegrenzt und mehr dem übrigen Schaffen Ovids angenähert ist die Trilogie dagegen dadurch, dass sie das Lehrgedicht metrisch und inhaltlich in der erotischen Halbwelt der Elegie ausspielt. So wird die Trilogie in ovidianischer Ironie zu etwas Halbseidenem: außen Lehrgedicht, innen Elegie.

© Steve Delamare – Pygmalion, 2009

Was die innere Einheit der Trilogie betrifft, so ist die thematische Einheit wohl evident; dagegen scheidet eine Einheit der Handlung, die sicheres Zeichen eines Gesamtwerkes wäre, natürlich aus, da es sich bei den Teilwerken nicht in ihrer Gesamtheit um Erzählungen handelt; wohl aber lässt sich über die ersten vier Bücher hinweg eine Einheit der Argumentation – die Anleitung zur Anbahnung einer Liebesbeziehung – feststellen, die zwischen den ersten beiden Büchern der Ars so eng ist, dass sie nahtlos über die Buchgrenze rinnt. Von dieser linearen Kohärenzstruktur sind die Remed. ausgeschlossen, die nicht die Knüpfung, sondern die Auflösung der amourösen Verbindung verfolgen. Spaltet man die Argumentation der Annäherung der Geschlechter noch weiter auf, so wird deutlich, dass es sich bei der Trilogie um einen Durchgang durch die Liebe handelt: Im ersten Buch – den Med. – steht die Angeleitete vor der Schwelle der Liebe und bereitet sich auf den Eintritt vor, indem sie sich das dafür nötige Äußere verschafft; in der Ars wird die Liebe erlangt, genossen und gehalten – hier ist man also innerhalb der Geschlechterbeziehung –; im letzten Buch – den Remed. – lässt der Angeleitete dagegen die Liebe wieder hinter sich. Somit hat die Trilogie Anfang, Mitte und Ende im Sinne der aristotelischen und hellenistischen Theorie des Einen. In dieser linearen Durchgangsstruktur äußert sich aber zugleich auch eine Klammerstruktur, die das erste und letzte Buch über die Ars hinweg miteinander verbindet: hier ist der bzw. die Angeleitete für sich und verhält sich gegenüber dem anderen Geschlecht gegenläufig: zunächst anziehend, dann abstoßend; dazwischen aber, in der Ars, findet der Verkehr zwischen den Geschlechtern statt.

So tritt zu der Rückfahrscheinstruktur (zur Liebe hin – von der Liebe weg), der Durchgangsstruktur (durch die Liebe hindurch) und der Kreisstruktur: (Ferne – Nähe – Ferne) als letzte Lage eine lineare Penetrationsstruktur: vom forum externum (Gestaltung des Äußeren, das der Allgemeinheit sichtbar ist) dringen wir über das forum privatum (Verkehr zwischen den Liebenden als Einzelwesen) in das forum internum ein, in dem das Subjekt am Ziel der Anleitung für sich allein steht und auf seine Innenschau zurückgeworfen ist; man könnte hier den drei Teilwerken auch den Bereich des Objektiven, des Intersubjektiven und des Subjektiven bzw. der Vielen, der Zwei und des Einen zuweisen.

Auf der formalen Seite ist auf der Werkebene zunächst die symmetrische Disposition der Buchzahl 1 – 3 – 1 sinnfällig; die drei Bücher der Ars dagegen sind nicht symmetrisch disponiert, was jedoch eine zusätzliche Symmetrie im Aufbau des ersten Teils der Trilogie – dessen der Knüpfung – enthüllt, dessen mittlere beide Bücher sich an das männliche Geschlecht richten, umklammert von zwei Büchern an die Frauenwelt. Die Remed. richten sich demgegenüber an beide Geschlechter, so dass sich bei den Adressaten der einzelnen Bücher aufs Gesamtwerk gesehen ein Geschlechtergleichgewicht einstellt.

© Nicolas Szuhodovszky – the transformation of Daphne, 2016

Was das literarische Verhältnis der einzelnen Werkteile untereinander angeht, muss zunächst einmal statuiert werden, dass ja ein jedes helle-nistisches Lehrgedicht für gewöhnlich bereits selbst eine Travestie seiner Vorlage ist; für die Med. ist natürlich ein Rezeptbuch als Vorlage anzunehmen, so dass sie sich insoweit in die Gattungstradition des Lehrgedichts einfügen, wiewohl auch sie schon durch das elegische Metrum und die elegiehafte Kontextualisierung des Lehrinhalts eine gewisse Abweichung andeuten. Im Laufe der Trilogie nimmt die Variation der Gattung jedoch immer weiter zu: sind die Med. eine Travestie des Inhalts der Vorlage, so ist die Ars eine Persiflage der Gattung Lehrgedicht, die die Med. vorgegeben haben; die Remed. sind dagegen eine Parodie dieser Persiflage: hier wird bei gleicher Form und Gattung und bei gleichem Gegenstand das Thema gespiegelt. Diesem Dreisprung entspricht auch die wachsende Uneigentlichkeit der Werktitel: Während der Titel der Med. im eigentlichen Sinne wiedergibt, was im Werk aufgeführt ist, ist der Titel der Remed., wiewohl demselben Quellbereich entnommen, ein metaphorischer Ausdruck; zwischen diesen beiden Polen steht der ironisierende Titel der Ars, der die Gattungsbezeichnung mit einem Attribut verbindet, dessen signifié gemeinhin nicht als erlernbar im Sinne einer τέχνη angesehen wird. Die Ars hat auf Buchebene noch eine Binnenstruktur: Das Motiv der Annäherung des Mannes an die Frau, das die ersten beiden Bücher bestimmt, wird im dritten Buche nun aus Sicht der puella gleichsam im musikalischen Krebsgang und auf die Hälfte verkürzt gespiegelt.

Ich konnte auf diesen wenigen Zeilen natürlich nur wenige Gedanken sehr oberflächlich andenken, hoffe aber, das makrostrukturelle, beinahe sinfonische Spiel von Wiederaufnahme und Variation, das Ovids Liebeslehrgedichte zu einem innerlich und äußerlich einheitlichen Gesamtwerk verknüpft, in aller Kürze zumindest sinnfällig angerissen zu haben.

Ovids erotodidaktische Trilogie Schema

Literatur:

  • Francesca Cioccoioni: Per un’interpretazione dei Medicamina faciei femineae: l’ironica polemica di Ovidio rispetto al motivo propagandistico augusteo della restitutio dell’età dell’oro. In: Latomus 65,1 (2006), 97–107.
  • T. J. Leary: Medicamina Recalled. In: Liverpool Classical Monthly 13 (1988), 140–42.
  • Patricia A. Watson: Parody and Subversion in Ovid’s Medicamina faciei femineae. In: Mnemosyne 54,4 (2001), 457–71.